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Hisoka OPM-Urgestein
Beiträge : 2349 Kopfgeld : 2279176 Dabei seit : 13.07.11 Ort : Knoten des Wahnsinns
| Thema: Die Fahrt und die Vergangenheit (One Shot) Sa 29 Sep - 22:40 | |    
| Hier ein neuer (alter) One Shot aus meiner Ideenschmiede ^^ Viel Spaß. - Spoiler:
Ich mochte Bahnfahrten. Es war herrlich, sich vor und nach der Arbeit zu entspannen, einfach nur ans Fenster sitzen und die vorbeirasenden Bäume und Ortschaften zu betrachten, wie sie sich in das Gesamtbild der Natur einfügten. Für mich hatte eine Bahnfahrt seit jeher etwas besinnliches. Ich konnte über alles nachdenken, was mich den Tag über quälte und mir keine Ruhe ließ. Es war der immer gleiche Ablauf. An der Haltestelle Osaka stieg ich in den Shinkansen nach Tokyo, wo ich in einer Bank arbeitete. Das ständige Pendeln wäre jedem anderen lästig gewesen, doch mir bereitete es Vergnügen. Ich stieg also morgens in den Zug und freute mich über jeden Menschen der an mir vorbei aus dem rumorenden Gefährt in das Sonnenlicht schritt, während das Rauschen der ankommenden Züge und das murmelnde Lärmgespinst all der Menschen um mich herum, meine anderen Sinne erfreute. Wie üblich durchquerte ich 2 Abteile, und setzte mich an demselben Platz wie immer ans Fenster. Seltsamerweise hatte mir in den 4 Jahren in denen ich diese Linie nahm, noch niemals jemand den Platz streitig gemacht. Sobald der Shinkansen seine Reise begonnen hatte, kramte ich in meiner braunen Tasche nach meinem geliebten, eisgekühlten grünen Tee. Ich genoss es wenn beim Öffnen die Kohlensäure entwich und mir eine Ahnung von Flüssigkeit das Gesicht benetzte. Dann dauerte es in der Regel nicht mehr lange, bis ich entspannt in die sich stetig verändernde Landschaft blickte, hin und wieder an der Dose nippend. Doch an jenem Tag hatte sich etwas verändert, etwas das nicht sein durfte und die natürliche Ordnung meines Tagesablaufs störte. Es war keine gravierende Veränderung, lediglich ein feines Gespinst, das sich wie ein schwacher Schatten über meinen Verstand legte. Auf dem Sitz der meinem gegenüber befestigt war, lag ein aufgeschlagenes Buch. Neugierig griff ich danach, musste aber schnell feststellen, dass es sich keinesfalls um einen Roman handelte. Vielmehr war es eine abgewetzte Ausgabe des Weekly Shonen Jumps, die ich in Händen hielt. Die Umschlagseite war schwielig und beinahe staubig, zahlreiche Risse zierten den Einband. Auf dem Cover prangte das Gesicht eines niedlichen kleinen Jungen mit schwarzen Haaren, einer roten Hose und großen, tellerrunden Augen. Astro Boy....natürlich kannte ich ihn. Jene Manga Figur, von Osamu Tezuka erschaffen, war schließlich eine der bekanntesten Gestalten der äußerst facettenreichen japanischen Populärkultur. In meiner Kindheit war mir das ein oder andere Abenteuer von ihm in die Hände gefallen, wenngleich ich ansonsten mit den schwarz weiß gezeichneten Geschichten nie so recht etwas anzufangen wusste. Da stutzte ich. In meiner Kindheit? Wie alt mochte dieser Band sein? Osamu Tezuka hatte Astro Boy vor Jahrzehnten gezeichnet...meiner Erinnerung nach war er niemals in der Jump erschienen. Ich zuckte die Achseln, geistesabwesend durch das wuchtige Magazin blätternd. Meine Pupillen wanderten nach links, ich sah in weiter Ferne einen Berg, der sich hoch in den Himmel erhob, aber viel zu schnell an mir vorbei zog. Die Landschaft veränderte sich allmählich, kleine Ortschaften wichen Kleinstädten, das Grün wurde immer weniger. Ich war wohl bereits in der Metropolregion Tokyo angekommen, wenn auch erst in ihren äußersten Ausläufen. Ohne jeden Zusammenhang erinnerte ich mich an eine Episode aus meiner Kindheit. Ich sah mich selbst, wie ich barfuß durch das Wohnzimmer krabbelte, auf einen etwas älteren Mann zu, der mich freundlich anlächelte. Kein Lächeln wie es die immer höflichen Bank Angestellten an den Tag zu legen pflegten, selbst wenn sie einem gerade eröffneten dass der Kredit nicht bewilligt werden würde, sondern ein ehrliches, aufrichtiges Lächeln, das direkt aus dem Herzen zu kommen schien. Der Mann hatte schütteres graues Haar, sein Gesicht war jedoch frei von Falten, er wirkte wach und aufmerksam. Mein Vater. Endlich fiel ihm mein jüngeres selbst erleichtert in die Arme, zwischenzeitlich hatte es versucht zu gehen. Ich sah, wie mein Vater mir sanft auf den Rücken klopfte und sich ein Lächeln auf meinem kindlich rundlichen Gesicht ausbreitete. Damals wusste ich noch nicht, dass mein Vater während meines 15. Lebensjahrs sterben würde. Es war jedoch kein Herz Infarkt oder eine schreckliche, unheilbare Krankheit. Mein Vater war im Alter von 65 Jahren an Entkräftung gestorben. Ich wusste noch ganz genau, wie mein Vater mit mir eine kleine Blume im Garten einpflanzte. Er hatte sich immer gefreut, dass ich mich auch für die kleinen Dinge im Leben begeistern konnte, und nicht wie die meisten meiner Altersgenossen bereits dem Alkohol verfallen war. Ich erinnerte mich an meine schwieligen Hände, den Schweiß der mir in Strömen vom Rücken heruntergelaufen war. Immerhin war es ein sehr heißer Sommertag gewesen. Dann hatte mein Vater mich ins Haus geschickt, damit ich mir einen Eistee holen konnte. Ich war damals verwirrt gewesen, liebte mein Vater Eistee doch selbst über alles, und ließ keine Gelegenheit aus, um ihn zu trinken. Als ich zurückkam lag mein Vater tot auf dem Rasen. Ich hatte nicht nach seinem Puls oder dem Herzschlag gefühlt, ich wusste einfach dass ihn die Lebenskraft verlassen hatte. Ich schrie nicht, weinte nicht. Er lag da, als würde er nur einen Mittagsschlaf machen, mit seinem wunderbaren, sanften Lächeln und insgeheim erwartete ich, obwohl ich doch genau wusste dass er tot war, er würde im nächsten Moment aufstehen und eine Grimasse ziehen. Einige Stunden später fand meine Mutter mich und meinen Vater im Garten, sie schlug die Hand vor den Mund und nahm mich weinend in die Arme. Doch es dauerte noch einige Zeit, bis ich begriff dass ich meinen Vater nie wieder sehen würde. Eine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel, ich wischte sie weg und öffnete die braune Reisetasche. Zu meiner Verwunderung enthielt sie keinen Grünen Tee. Eine weitere Überraschung an diesem ungewöhnlichen Tag, so schien es mir. Ich bemerkte, dass ich die Jump immer noch in der Hand hielt, mein Blick fiel auf einen kleinen gezeichneten Jungen, mit langen blonden Haaren und blauen Augen. Und noch im selben Moment hieb ich mit einem Bambusschwert nach Daisuke, meinem besten Freund. Der lachte und blockte den Angriff mit seinem eigenen Schwert, Sekunden später lagen wir lachend auf dem Boden und boxten uns abwechselnd in die Seiten. An Daisuke erinnerte ich mich immer wieder gerne. Er war mir in mehr als 20 Jahren meines Lebens ein wunderbarer Freund gewesen, als mein Vater starb, war er es, der mich mit seiner unnachahmlichen Art nach 2 Wochen zum ersten Mal wieder zum Lachen brachte. Daisuke, den ich seit 5 Jahren nicht mehr gesehen hatte, da er mit Frau und Kind nach Fukushima gezogen war und keinem seine Adresse hinterlassen hatte, war stets ein ganz besonderer Mensch für mich gewesen. Es gab keinen Tag, an dem er mich nicht zum Lachen brachte, keinen Tag, an dem er jeden einzelnen Menschen in seiner Umgebung durch seine bloße Anwesenheit glücklich machte. Er war sicher kein Engel in Menschengestalt, oder ein menschgewordener Erlöser, aber einfach ein rundum wunderbar ausgeglichener Mensch, mit dem man nur selten aneinandergerat. Wenn ich mich recht erinnere, war ein Mädchen der Grund für unsere Auseinandersetzung gewesen. Doch nach der Schulzeit hatten wir darüber nie mehr geredet, immerhin hatte er sie kurz darauf geheiratet und zwei Kinder mit ihr gezeugt. Und auch ich hatte ein halbes Jahr später mein Glück gefunden. Verwundert blinzelte ich und legte das alte Magazin beiseite. Was war nur heute mit mir los? Ich dachte sonst nie über die Vergangenheit nach. Als die Sonnenstrahlen von außerhalb des Zuges in mein Gesicht fielen, und sich mir der Blick auf einen klaren Morgenhimmel eröffnete, lächelte ich. Ich machte mir nicht weiter Gedanken darüber, dass ich wenige Sekunden später eine Dose Grüner Tee in der Hand hielt, und das Manga Magazin nicht mehr auf dem Sitz neben mir lag, wo ich es abgelegt hatte. Mit kleinen Merkwürdigkeiten im Leben musste man sich abfinden, wie sollte man sonst die Schwierigkeiten des Alltags meistern? Warum auch immer ich diese Einschübe gehabt hatte, die mich an eine längst vergangene Zeit erinnerten, es interessierte mich nicht. Ich begnügte mich mit dem was ich jetzt besaß, und mit der Vergangenheit hatte ich längst meinen Frieden geschlossen. So wichtig alte Bindungen auch waren, und so sehr ein alter Verlust auch schmerzte, ich musste meinen Blick nach vorne, direkt in die Zukunft richten. Als ich wenige Minuten später den Shinkansen verließ, und meine Füße Tokyoter Boden betraten, nahm ich einen tiefen Atemzug frischer Luft. Lächelnd verließ ich kurz darauf den Bahnhof, und begab mich auf den Weg in die Innenstadt der Welt Metropole, wo ich wie jeden Tag meinen Dienst als Bankangestellter antrat. Und als ich schließlich am Ende des Tages wieder in den Shinkansen stieg, wieder an meinen alten Platz zurückkehrte und ganz wie ich es erwartet hatte keine Jump auf dem Platz mir gegenüber lag, wusste ich dass mein Leben einen Sinn hatte. Mir war klar, dass ich mein Leben weiterleben konnte ohne Reue. Ich hatte ein normales Leben geführt, und war auf dem besten Wege, dies auch weiterhin zu tun. Mit dem aufsteigenden Vollmond links von mir als Wegbegleiter, schloss ich die Augen und begann zu träumen. Ein altes Manga Magazin das nie existiert hatte, tauchte nicht in meiner Traumwelt auf.
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| Chirurg des Todes Rookie
Beiträge : 662 Kopfgeld : 1305198 Dabei seit : 30.07.12
| Thema: Re: Die Fahrt und die Vergangenheit (One Shot) So 30 Sep - 9:24 | |    
| Hallo Hisoka, ich bin begeistert wie man eine so kurze alltägliche Zugfahrt in der nicht viel passiert, zu einer so interessanten Geschichte machen kann. Ich meine ganz kurz gefasst, hat sie sich einfach auf einer Zugfahrt kurz an ihre Vergangenheit erinnert und das war's. Doch dadraus hast du so schöne Gedanken geformt, wie sie durch dieses Magazin, das wie im Ende steht nie existiert hat sich an die Vergangenheit erinnerte und dadurch den Entschluss auf ein gutes Leben hatte. Bei deinen Geschichten liebe ich diese Gedankengänge der Personen. Aber auch deine Beschreibungen - ich konnte mir jeden Moment der Hauptperson vorstellen. Wie ihr Blick auf das Magazin fiel, wie sie nach draußen starrt und das Grün verschwindet. Oder mit dem Getränk, diese Stelle fand ich interessant: - Zitat :
- Ich genoss es wenn beim Öffnen die Kohlensäure entwich und mir eine Ahnung von Flüssigkeit das Gesicht benetzte.
"..Ahnung von Flüssigkeit das Gesicht benetzte", das klingt so super! Ich kann mir das auch total gut vorstellen. Eine Stelle die mir sehr gefiel war diese hier: - Zitat :
- Kein Lächeln wie es die immer höflichen Bank Angestellten an den Tag zu legen pflegten, selbst wenn sie einem gerade eröffneten dass der Kredit nicht bewilligt werden würde, sondern ein ehrliches, aufrichtiges Lächeln, das direkt aus dem Herzen zu kommen schien.
Dadurch, dass das Lächeln von ihm so genau beschrieben wurde, fühlte ich richtig die Wärme und die Liebe. Hätte das dort nicht gestanden, hätte ich ihn nur ganz kurz lächeln sehen, doch dadurch wurde mir bewusst, wie sehr der Vater seine Tochter geliebt haben muss. Diese merkwürdigen Sachen bei seinem Tod fand ich auch interessant. Auch die Gedanken der Hauptperson was das betraf. Schön fand ich auch, dass sie erst langsam begriff, dass sie ihn nie wieder sehen kann. Und das sie sofort weiß dass er tot ist, aber es nicht glauben will. Dieser One-shot ist besser als jedes Kapitel in meinen Büchern. Sonst werde ich müde und egal welche Geschichte, wie wird langweilig, aber deine musste ich einfach weiter lesen. Ich hoffe es kommt noch mehr! Liebe Grüße Chirurg des Todes
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| Träumerin USER - Revolutionärin
Beiträge : 1223 Kopfgeld : 1494962 Dabei seit : 18.05.11 Ort : irgendwo
| Thema: Re: Die Fahrt und die Vergangenheit (One Shot) So 30 Sep - 14:38 | |    
| Wenn ich Bahn fahre dann sitze ich auch meisten am Fenster und schaue mir die Gegend an, für manche mag das vielleicht langwelig sein doch für mich das irgendwie entspannend^^ Die Geschichte war echt toll, hat mich so ein bisschen nachdenklich gemacht ach ich vermisse die gute alte RTL 2-Zeit, das war noch eine schöne Zeit und jetzt kann man es vergessen,der Schreibstil, wow ich wünschte ich könnte so schreiben.
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| Onenami25 Super Novae
Beiträge : 910 Kopfgeld : 1324909 Dabei seit : 25.05.12 Ort : Hier und dort
| Thema: Re: Die Fahrt und die Vergangenheit (One Shot) So 30 Sep - 16:28 | |    
| Hey Hisoka (: In diesem One Shot hast du wiedereinmal deine elegante Schreibweise gezeigt. Es hat mir wieder gefallen ihn zu lesen. Schöne Minuten meines Lebens. Doch niemand ist frei von Fehlern, auch wenn es jeder gerne sein möchte. Ich habe bei dir kleine Fehler gefunden. Diese ändern aber nichts an dem Lesevergnügen, dass man bei dir immer hat. So etwas schaffen nur wenige Menschen. Hier sind deine klitzekleinen Fehler - Zitat :
- Es war herrlich, sich vor und nach der Arbeit zu entspannen, einfach nur ans Fenster setzen und die vorbeirasenden Bäume und Ortschaften zu betrachten, wie sie sich in das Gesamtbild der Natur einfügten.
„setzen“ ist in diesem Kontext besser als „sitzen“ --> bestimmt nur ein kleiner Flüchtigkeitsfehler - Zitat :
- Kein Lächeln wie es die immer höflichen Bankangestellten an den Tag zu legen pflegten, selbst wenn sie einem gerade eröffneten dass der Kredit nicht bewilligt werden würde, sondern ein ehrliches, aufrichtiges Lächeln, das direkt aus dem Herzen zu kommen schien.
„Bankangestellten“ wird zusammengeschrieben^^ - Zitat :
- Es war jedoch kein Herzinfarkt oder eine schreckliche, unheilbare Krankheit.
Hier das gleiche mit „Herzinfarkt“ - Zitat :
- Der lachte und blockte den Angriff mit seinem eigenen Schwert.
Sekunden später lagen wir lachend auf dem Boden und boxten uns abwechselnd in die Seiten. Hier hätte ich es besser gefunden, wenn es ein Punkt gewesen wäre, anstatt ein Komma. Das ist aber nicht weiter relevant, es hat mich nur gestört xD - Zitat :
- Ich machte mir nicht weiter Gedanken darüber, dass ich wenige Sekunden später eine Dose Grüner Tee in der Hand hielt, und das Manga-Magazin nicht mehr auf dem Sitz neben mir lag, wo ich es abgelegt hatte.
Ich könnte mich auch irren, aber wird "Manga-Magazin" nicht mit einem Bindestrich geschrieben? - Zitat :
- Lächelnd verließ ich kurz darauf den Bahnhof, und begab mich auf den Weg in die Innenstadt der Weltmetropole, wo ich wie jeden Tag meinen Dienst als Bankangestellter antrat.
„Weltmetropole“ wird zusammengeschrieben So das wars dann auch mit meinem Post. Ich werde mich jetzt an deine andere Geschichte wenden. Eins muss ich dir aber auch noch sagen. Ich hätte gerne so eine großen Wortschatz wie du :DD Mfg Onenami25
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| Schnellantwort auf: Die Fahrt und die Vergangenheit (One Shot) | |
| Seite 1 von 1 |
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