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Chirurg des Todes Rookie
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| Thema: Das Versprechen im Frühlingstraum Mo 8 Okt - 13:11 | |    
| Hallo, hier ist noch einmal mein One-shot vom FanFiction Wettbewerb mit dem ich gewonnen habe. :) Ich hoffe sie gefällt auch denen, die beim FanFiction Wettbewerb nicht abgestimmt haben, auf neue Leser freue ich mich. Für Kritik bin ich immer offen, solange sie konstruktiv ist. Ansonsten möchte ich nur noch anmerken, das ich einige Fehler nun ausgebessert habe. - Spoiler:
Das Versprechen im Frühlingstraum
Vom Sonnenlicht angestrahlt tanzten die Blätter in der Luft, bis ein Blatt, so leicht wie eine Feder, auf meiner Nase landete. Ich lächelte und pustete das Blatt wieder davon, sodass es vom Wind erneut in den Wald getragen wurde. Das Rascheln der Bäume erklang in meinen Ohren und der Duft der Waldblätter vermischte sich mit dem von nasser Erde. Die Bäume schimmerten in ihrem schönen Grünton, angestrahlt von der wärmenden Nachmittagssonne. Es war wundervoll, wie in einem schönen Frühlingstraum, aus dem man nicht aufwachen wollte. Ein Traum, der ewig andauern sollte. Ein lieblicher Sonnenstrahl fiel auf mein Gesicht, mein Haar wurde von einer sanften Brise zurückgeweht, und genussvoll schloss ich meine Augen, um diesen wunderbaren Augenblick nie zu vergessen. Es war ein schöner Frühlingstag im Mai, 2009, als wir zu unserer Großmutter fuhren. Für diesen Besuch hatten wir uns einen Wagen geliehen, der nicht der beste war, aber noch funktionstüchtig und brauchbar schien, und das war die Hauptsache. Wir konnten uns nicht leisten, zu viel Geld für den Urlaub auszugeben. Normalerweise fuhren wir in den Ferien nie weg und blieben zuhause, in einer kleinen Wohnung, mitten im Zentrum des Verkehrs. Doch die Luft dort war zu schlecht für meine große Schwester, die sich letzten Winter eine schlimme Krankheit geholt hatte. Da die Ärzte meinten, es könnte ihr wieder besser gehen, wenn sie an der frischen Luft wäre, beschlossen wir hier her zu kommen. Unsere Großmutter hielt noch nie etwas von moderner Technik. Ich vermute das liegt daran, dass sie als Kind nie so etwas gelernt hatte und deshalb einfach diese natürlichen Veränderungen abblockte. Doch selbst unsere sture Großmutter musste irgendwann einsehen, dass ein Auto viel praktischer war, vor allem weil sie immer älter wurde und sich nicht mehr so gut bewegen konnte. Dennoch hegte sie einen Groll gegen alles Moderne und lebte daher weit weg von Menschen, allein im Wald und benutzte nur wenige elektrische Geräte. Mutter meinte auch, dass es gut für Großmutter wäre, mal wieder Gesellschaft zu haben. Seit Großvaters Tod ließ sie keinen mehr an sich ran, und nur mit Mühe konnten wir sie dazu überreden, uns für einige Zeit bei ihr wohnen zu lassen. „Sag mal schläfst du, Holly?“ Eine Stimme weckte mich aus meinen Gedanken. Ich wandte meinen Blick von der Landschaft. „Nein, dann würde ich doch diese großartigen Aussichten verpassen!“ Evelyn, meine große Schwester lächelte. Wenn sie das tat, bekam sie immer süße Grübchen und strich sich die braunen Haare nach hinten. Es war eine gewohnte Bewegung, die ich schon immer an ihr mochte. Bei ihr wirkte alles so natürlich und anmutig. Als kleines Kind wollte ich immer genauso sein wie sie. In Erinnerungen versunken lächelte ich und sah wieder hinaus. Ich streckte meinen Kopf weit raus, um so viel wie möglich von dieser wunderschönen Fahrt zu spüren. Ich blickte in den Himmel und sah hinauf zu den großen weiten Wolken, die über die Bäume hinweg zogen. Zögernd streckte ich meine Hand, wie früher, als ich dachte, ich könnte Wolken fangen. Ich schloss meine Augen und ließ den Moment auf mich wirken. „Holly, Schätzchen. Wach auf!“ Ich spürte die Schwere meines Körpers und blinzelte. „Komm, wir sind da!“, rief meine Schwester. Müde gab ich mir einen Ruck, zog die Autotür auf und trat ins Freie. Es war seltsam wieder auf den eigenen Füßen zu stehen. „Bin ich eingeschlafen?“, fragte ich schläfrig. „Und wie, du hast sogar gesabbert“ Erschrocken schlug ich die Augen auf und wischte mit meinem Ärmel über meinen Mund und fragte sie entgeistert: „Weg?“ Plötzlich fing meine Schwester an zu prusten und in dem Moment schüttelte ich lachend den Kopf, als es mir langsam bewusst wurde. „Bin wohl wieder darauf reingefallen, was?“ Evelyn hielt sich die Hand vorm Mund und ich sah, wie sehr sie sich zusammenreißen musste, um nicht in lautes Gelächter zu fallen. „Du hättest dein Gesicht sehen müssen, als du dachtest, dass du gesabbert hast!“ Als ich mir das vorstellte, fing ich auch an zu kichern und brach mit Evelyn in lautes Gelächter aus. Vor lauter Lachen mussten wir uns krümmen und uns an den Bäuchen festklammern. Doch plötzlich fing Evelyn an erstickend zu husten, als bekäme sie keine Luft mehr. Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwand, schnell eilte ich auf sie zu und schrie: „Evelyn, oh mein Gott was hast du?“ Mein Blick suchte meine Eltern, und als ich sie fand schrie ich verzweifelt: „Mum, Dad! Irgendetwas stimmt mit Evelyn nicht!“ Mum, die in der Tasche nach ihrem Handy gesucht hatte, blickte erschrocken auf. Dad, der unsere Sachen aus dem Kofferraum packte, ließ die Tasche in seinen Händen sofort fallen. Beide rannten auf uns zu und ich wusste nicht was ich tun sollte. Vorwürfe überschlugen sich in meinem Kopf, panisch sah ich zu wie Mum eine Pille aus ihrem Täschchen rausholte und mein Dad Evelyns Kopf so hielt, dass sie viel Luft bekam. Ihr Kopf wurde rot, ihr Körper bebte und Dad musste mit aller Mühe meine Schwester festhalten. Sie schlug um sich wie ein Biest, etwas Weißes Schleimiges quoll aus ihrem Mund und ihre Augen waren weit aufgerissen. An der Stelle zwischen ihren Beinen, breitete sich auf der Hose ein dunkler Fleck aus. Der Anblick war erschreckend. Sie schrie vor Schmerzen, verletzte Mutter und Vater und brabbelte unverständliche Worte. Ich war fassungslos. „E-Eve-…Evelyn!“, stammelte ich erschrocken. Mutter sprach fieberhaft auf sie ein, während Vater verzweifelt und hartnäckig seine Tochter zu bändigen versuchte. Ich schreckte ein paar ungeschickte Schritte zurück. Dabei stolperte ich über einen Stein und fiel auf den Boden. Ich riss mir die Haut auf, am Knie und an der Hand. Meine Wange brannte. Panik übernahm Oberhand. Das Geschrei von Evelyn nahm kein Ende. Diese irre Stimme, diese durchgedrehte Person die ihren Körper nicht im Griff hatte. Das war nicht mehr Evelyn! Es war ein Monster. Ich zitterte vor Angst, versuchte das Gebrüll zu dämpfen, indem ich meine Hände fest auf meine Ohren presste. Meine Augen waren vor Entsetzen geweitet, wanderten von einem Punkt zum andern. Ich dreh durch, dachte ich. Ich dreh durch! Das Geschrei wurde lauter, und erst da bemerkte ich, dass ich es war die schrie. Mein Herz klopfte so schnell, dass ich fürchtete, es zerspringe. Ich verschluckte mich an meinem hektischen Atem und röchelte. Plötzlich rüttelte jemand an mir, und mein Körper verkrampfte sich. Was war es? Horror Bilder rasten vor meinen Augen - wie meine Schwester schrie, wie ihre Brust unregelmäßig auf und ab schwankte, ihre Hose immer nasser wurde und das glitschige weiße Zeug aus ihrem Mund tropfte. „Nein! Lass mich!“, kreischte ich und schloss meine Augen so fest wie ich konnte. Die Stimme wurde unsicher, und langsam wurde mir klar, dass ich sie von irgendwoher kannte. Ich blickte auf und sah meine Mutter, wie sie schützend ihre Arme um ihren Körper klammerte, das Gesicht vor Schmerz verzerrte und mich losließ. „Bist du -…“ Ich wollte sie fragen ob sie verletzt war, doch dann fiel mein Blick auf meine Hände. Blut hing an meinen Nägeln und entsetzt starrte ich meine Finger an. Was hatte ich getan? Ich hatte doch nicht wirklich gerade meine Mutter verletzt? Zitternd stand ich auf. Aus der Ferne sah ich, wie Dad auf mich zukam. Mein Atem wurde schwer. Aus irgendeinem Grund hatte ich Angst. „Es war nicht mit Absicht!“, schrie ich. Mum kippte um. Er kam weiterhin auf mich zu und starrte mich finster und bedrohlich an. Verängstigt brüllte ich: „Lass mich in Ruhe, ich hab dir doch nichts getan! Tu mir nicht weh!“ Plötzlich stand er direkt vor mir und packte mich grob am Arm. Seine leeren Augenhüllen sahen mich an. Das war nicht Dad. Ich riss mich mit Schwung los, und fing an zu rennen. Zweige zerkratzten mein Gesicht, die Dunkelheit überfiel mich und die Kälte riss mir erbarmungslos die Kleider vom Körper. Doch ich hörte nicht auf zu rennen. Tränen flossen in Fluten über mein Gesicht, ich wischte mir die Rotze von der Nase und rannte weiter. Noch nie zuvor hatte ich so viel Angst gehabt. Der Tränenschleier ließ meine Umgebung verschwimmen. Und dann sprang ich ins Nichts.
* „Sie scheint sich nur erschrocken zu haben.“ „Aber mit ihr ist alles in Ordnung?“ „So sieht es aus. Wahrscheinlich wird sie etwas verwirrt sein und es könnte auch sein, dass sie noch einen traumatischen Schaden erlitten hat. Nicht für jeden ist es leicht so einen Anblick zu ertragen, vor allem nicht für ein Kind“, sagte eine fremde Stimme. „Sobald sie Fragen haben rufen sie mich an.“, beendete sie seufzend den Satz. Ich hörte etwas Knistern. „Vielen Dank, dass sie noch so spät gekommen sind.“ Die Stimme meiner Mutter. „Keine Ursache“, sagte die mürrische Frau. Allein der Tonfall verriet jedoch, dass die Frau das nur aus Höflichkeit sagte. Ich hörte davon eilende Schritte auf dem knarrenden Boden, darauf das Zufallen einer Tür. Zögernd öffnete ich die Augen und erblickte meine Mutter. Sie sah müde und erschöpft aus. Als hätte sie die letzte Nacht nicht geschlafen. Ihre blonden Haare schienen dunkler als je zuvor. Angestrengt kramte sie in ihrer Tasche, als suche sie etwas. Erleichtert merkte ich, dass ihr linker Arm nicht verletzt war. Also hatte ich nur geträumt. „Suchst du die hier?“ Erst jetzt bemerkte ich die verkrümmte Gestalt an der Wand. Großmutter. Ich wusste, ich sollte jetzt aufstehen und die zwei auf mich aufmerksam machen, anstatt Gespräche zu belauschen. Doch irgendetwas hielt mich davon ab. Meine Mutter starrte auf ein kleines Glasfläschchen mit silbernen Perlen, die Großmutter in der Hand hielt. Es sah aus wie Medizin. Großmutters alte Augen starrten gefühlslos auf Mum. Mit ihrer zittrigen Stimme fragte Großmutter vorwurfsvoll: „Warum hast du es ihr nicht erzählt?“ „Du meinst Holly?“ „Wen sonst.“ Mutter seufzte tief und sagte langsam und deutlich, als müsse sie einem kleinen Kind erklären warum dieses Jahr kein Weihnachtsmann kam: „Lass uns das Thema wechseln, ich möchte nicht mit dir darüber reden.“ „Es ist ihre Schwester! Wie kannst du Holly verschweigen dass Evelyn nicht mehr lange zu leben hat!“ „Mutter!“ „Was? Ist doch so. Ich verstehe, dass du dir Sorgen um Holly machst, dass du es gerade sehr schwer hast. Doch sie zu belügen es sei eine harmlose Krankheit-...“ Ich wusste nicht was mit mir geschah. Keine Träne floss. Es schien, als hätte ich es immer gewusst. Tief im Herzen. Ich hörte jemanden nach mir rufen, von sehr weit her. Wahrscheinlich war es Mum. Erst langsam wurde mir klar, was ich soeben erfahren hatte. Ich würgte. Evelyn, meine große Schwester wird sterben, sagte ich mir. Sie wird sterben! „Holly Schätzchen, bist du wach? Geht es dir gut?“ Ich weiß nicht woher ich die Kraft nahm. Doch ich lächelte sie an und murmelte: „Mir geht’s gut Mum, mach dir keine Sorgen.“ Krampfhaft versuchte ich die Übelkeit zu unterdrücken. „Ich bin gerade erst aufgewacht.“ Ich merkte, dass Mutter ihre Erleichterung überspielen wollte, doch ich sah wie sich ihre steifen Hände lösten. Großmutter blieb grimmig und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Der Tag verlief friedlich. Als wäre nichts passiert. Doch ich wusste, es war nicht so. Obwohl Mutter und Vater mir nichts erzählten, war ich mir nun im Klaren, dass sie mir etwas verheimlichten. Und trotzdem spielte ich die ahnungslose Schwester. Tat, als fiele mir nicht auf, dass meine Schwester den ganzen Vormittag nicht auftauchte. Übersah die tiefen Augenringe von Dad, bemerkte nicht das plötzliche Wegdrehen meiner Mutter, wenn sie weinte. Ich schaukelte hin und her. Großvater hatte als er lebte eine Schaukel für seine Ehefrau als Geburtstagsgeschenk an einen großen alten Baum befestigt. Mum meinte, dass Großmutter mit ihm sehr glücklich gewesen war und immer viel lachte. Doch das kann ich mir heute nicht vorstellen. Vielleicht verändern sich Menschen wenn jemand den sie lieben sie verlässt. Seltsam, dachte ich. Noch kein einziges Mal hatte ich geweint, obwohl ich erfahren habe, dass meine Schwester sterben wird. Es war, als würde der tiefe Schmerz mein Herz verschlingen und Narben die verletzten Stellen bedecken. Doch von außen her wirkte ich sorgenlos und fröhlich, wie ein dreizehnjähriges Mädchen in meinem Alter war. Der Wind wehte mir Staub ins Auge, und schnell rieb ich ihn mir weg. Und erst da fing ich an zu weinen. Träne für Träne. Es war, als hätten all mein Schmerz und meine Angst nur auf diesen Moment gewartet. Traurig wischte ich mir das Wasser aus den Augen und blinzelte zum Himmel. „Warum?“, flüsterte ich, ohne zu wissen, an wen die Frage ging. „Warum nur?“, wisperte ich traurig. „Holly“ Sofort erkannte ich die Stimme. Bestürzt blickte ich zu ihr. „Evelyn“, flüsterte ich ungläubig. Sie lächelte, doch ich erkannte den Schmerz in ihren Augen. Sie saß im Rollstuhl. „Was machst du denn hier draußen, ist dir nicht kalt?“ „Nein“, flüsterte ich. Sie schien meinen Blick auf ihren Rollstuhl bemerkt zu haben und lächelte: „Der ist bald weg, ich brauche ihn nur kurz“ Eine Lüge. Ich wusste es, doch ich nickte, als ob ich es verstehen würde. „Evelyn?“ „Ja?“ „Was ist deine Lieblingsfarbe?“ „Warum fragst du?“ „Nur so. Was ist jetzt deine Lieblingsfarbe?“ Ich versuchte das Schluchzen zu unterdrücken. „Das orange der untergehenden Sonne“ „Und-…“,wimmerte ich. „Was ist dein Lieblingstier?“ Sie zögerte: „Am liebsten habe ich die Nachtigall, sie hat ein kurzes aber so schönes Leben. In der Freiheit sorgenlos zu fliegen und zu singen, das muss toll sein.“ Ich nickte und stellte mir das vor. Evelyn hatte Recht, es musste toll sein wie eine Nachtigall leben zu können. Laut seufzte ich, und blickte nachdenklich in den Himmel um meine Traurigkeit zu überspielen. Ich versuchte die Tränen zu schlucken und zog die Nase hoch. Mehrmals blinzelte ich, um das Wasser in meinen Augen zu verstecken. „Nun gut, was ist deine Lieblingsjahreszeit?“ „Der Frühling“ „Und was ist-…“ „Holly“, unterbrach sie mich. „Mir geht’s gut. Das wird schon wieder. Ich weiß zwar nicht was man dir erzählt hat, aber wenn ich immer genügend Tabletten einnehme wird es mir im Nu besser gehen.“ Ich wünschte ich könnte ihr glauben. Doch die Wirklichkeit ließ sich nicht von Wünschen verändern. „Holly?“ „Ja?“ „Versprichst du mir etwas?“ Ich nickte.
* Es verging ein Monat. In dieser Zeit verschlechterte sich der Zustand meiner Schwester. An einem Morgen fing sie an mich zu fragen, wer ich bin. Am darauffolgenden Tag konnte sie ihren Körper nicht mehr kontrollieren und schlug unsere Großmutter, als diese ihr beim Frühstück ein Brot auf den Teller legte. Vater rastete deshalb aus und schrie Evelyn wütend an. Mutter versuchte ihn aufzuhalten, ihm den Zustand seiner Tochter zu erklären und verständlich zu machen. Sie fingen beide an sich zu streiten, bis Vater das Haus verließ und den Scheidungsvertrag mit Mutter unterschrieb. Daraufhin sah ich ihn nie wieder. Durch dieses Ereignis wurde Mutter verschlossener und kam nicht mal zum Frühstück aus ihrem Zimmer. Das Verhältnis zwischen jedem im Haus war angespannt. Die schönen Erinnerungen, zusammen mit meiner Familie verblassten und kamen mir unwirklich vor. Evelyns Krankheit schien sie Tag für Tag von innen heraus zu fressen und nur eine leere Hülle übrig zulassen. Denn sie verlernte auch noch das Sprechen und konnte keinen Muskel mehr rühren. Manchmal schob ich sie hinaus auf den Waldweg, der nun mit einer hohen grünen Wiese bedeckt war, und machte mit ihr einen Spaziergang durch den lebhaften Wald. Ich redete dann über die schönen Blumen und über die gute Luft. Fragte sie öfters ob sie nicht auch einmal an einer Narzisse riechen wollte oder an einer Rose. Doch ich bekam nie eine Antwort. Die Ärztin meinte, es wäre gut wenn wir Evelyn öfters in Gespräche miteinbezogen, auch wenn Evelyn nicht reagierte. Es tat weh, sie so zu sehen. Diese leeren Augen ohne Lebensenergie, die Reglosigkeit, abgesehen vom gelegentlichen Zucken ihres Lides. Manchmal glaubte ich, dass sie mich hörte, dass meine Worte bei ihr ankamen. Doch dann bemerkte ich den feuchten Fleck an ihrer Hose und wir gingen zurück nachhause, um ihre Windeln zu wechseln. Öfters sabberte sie, wie ältere Menschen im Altersheim. Dann musste ich ihr mit einem Taschentuch den Mund abwischen. Doch dann, als Großmutter mit Mum zu Dad fuhr um etwas zu regeln und keiner im Haus war. Als das Sonnenlicht des Sommers verblasste und das Zwitschern von Vögeln an mein Ohr drang, erinnerte ich mich an das Gespräch zwischen mir und Evelyn. Es war ein Tag her, nachdem wir hier im Wald beim Haus unserer Großmutter ankamen und alles anfing. Zusammen saßen wir auf der Schaukel und wippten hin und her. Die letzten Strahlen der Abendsonne tauchten die Welt in ein tiefes rot. Der Geruch von frisch gemähtem Gras lag in der Luft und eine warme Brise traf mein Gesicht. Der Wind ließ unsere Haare flattern und ich spürte die Wärme in der Hand meiner Schwester. Lange schwiegen wir und hielten uns nur an den Händen, ohne loszulassen. „Holly, ich habe Angst“, flüsterte sie plötzlich. „So furchtbare Angst“ Es war das erste mal dass sie so verängstigt war. „Wovor?“, fragte ich überrascht. „Davor, dass ich mich verändere und irgendwann nicht mehr ich bin.“ Nachdenklich blickte ich in die Ferne. „Holly, versprichst du mir etwas?“ Ich nickte. „Was? “ „Sollte ich nicht mehr in der Lage sein mich zu bewegen, gar zu sprechen –„ sie stockte, bevor sie tief Luft nahm und weiter sprach. „Wenn ich nicht mehr ich bin – kannst du mich dann töten?“ Entsetzt rief ich: „Nein, auf gar keinen Fall! Dazu wird es gar nicht erst kommen, Evelyn! Es wird dir wieder besser gehen und du wirst gesund werden! Ich lasse nicht zu, dass die Krankheit dich verändert, glaub mir!“ Einen Augenblick schien sie meinen Worten glauben zu wollen, doch nur kurz. Zitternd fing sie an zu weinen: „Bitte Holly. Ich will nicht dass ihr mich so seht. Ich will dir, Mum und Dad nicht zur Last fallen. Bitte. Versprich es mir. Wenn ich mich verändere…“ Sie blickte mir tief in die Augen ohne mit der Wimper zu zucken. „töte mich“
* Ich versprach es ihr und muss nun mein Wort halten. Hinter mir schließe ich die große hölzerne Tür und einen kleinen Moment will ich umkehren, doch dafür ist es zu spät. Ich verabschiede mich von den Menschen die ich liebe, die dennoch nicht da sind: „Auf Wiedersehen Großmutter, Mum und Dad. Ich habe euch immer so sehr geliebt wie man Menschen lieben kann.“ Ich drehe mich entschlossen um und schiebe den Rollstuhl vorsichtig die Rampe runter, die wir extra für Evelyn angebracht haben. Starr laufe ich geradeaus, den Blick nach vorne gerichtet. Das Rascheln der Blätter im Wind begleitet jeden Tritt, jeden Schritt. Das warme Sonnenlicht fühlt sich gut an, auf meiner Haut. „Weißt du, Evelyn“, fang ich an. Ihre Augen bleiben leer und ausdruckslos. „Als kleines Kind habe ich dich immer beneidet. Dein Haar war so schön braun, deine Haut war so weiß und deine Augen hatten ein schönes Funkeln. Und in der Schule warst du jedes Mal die beste aus deiner Stufe. Ich wollte immer genauso sein wie du. Doch das hast du nie bemerkt“ Ich lächle „Und als ich älter wurde dachte ich, Mum und Dad würden dich viel mehr lieben als mich. Das war in der Zeit, als ich dich dauernd beim Lernen gestört habe, erinnerst du dich?“ Ich warte nicht auf ihre Antwort, denn ich habe mich daran gewöhnt, keine zu kriegen. „Aber dann hörte ich zufällig wie Mum und Dad über deine Krankheit sprachen. Zuvor schickten sie uns zu Bett, doch ich konnte nicht schlafen. Sie sagten, du habest nicht mehr lange zu leben. Ich wusste es, seit dem Augenblick. Ich hatte die ganze Nacht durchgeheult, und du hast mich getröstet, ohne den Grund zu wissen, warum ich traurig war, dachte ich zumindest in dem Moment, doch du wusstest es, die ganze Zeit. Du versprachst mir, immer bei mir zu sein und mich nie allein zu lassen. Dasselbe verspreche ich dir auch“ Der Kopf vor mir sackt in sich, ihre Hand wird kraftlos. Ich schluchze. „Wie viel hast du in dieser Zeit gelitten, Evelyn?“ Ihr Atem wird unregelmäßig und ihre Brust bebt. Ich weine. „Wie konntest du immer noch lächeln, obwohl du wusstest dass du stirbst?“ Endlich erreiche ich den Abhang. Der Wind weht hier stärker, rüttelt an meinem Körper und zerzaust mein Haar. Ein farbiges Blatt von weit her trifft meine Wange und fällt langsam den Abhang hinunter. Ich beuge mich zögernd vor und blicke in die unendliche Finsternis. Das leise Rauschen eines rasch fließenden Flusses dringt an mein Ohr. Ein kalter Luftzug erreicht mich und hinterlässt eine prickelnde Gänsehaut, die Dunkelheit scheint mich in ihre Schwärze hineinzerren zu wollen, nach mir zu greifen, mich zu packen. Einen Augenblick lang scheint die Angst mich zu lähmen, doch eine kühle Träne weckt mich. Das unregelmäßige Atmen ist bereits verstummt. Ich fühle mich seltsam erlöst. Auf eine ganz andere Art und Weise fühle ich mich sogar glücklich. „Schwester“, flüstere ich und schließe die Augen zum letzten Mal. „Es ist vorbei“ Und gemeinsam stürzen wir in die schwarze Tiefe.
Liebe Grüße Chirurg des Todes
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| Whitebeard01 Neue Welt'ler
Beiträge : 1534 Kopfgeld : 2657266 Dabei seit : 23.10.12 Ort : Die neue Welt
| Thema: Re: Das Versprechen im Frühlingstraum Do 6 Dez - 20:09 | |    
| Hallo Chirur,
man da hast du ja eine tolle One-shot geschrieben. Ich finde die Geschichte beginnt sehr schön und man denkt es ist eine ruhige Geschichte voller Spass und Freude. Dann als Evelyn diese Anfälle kommt, hab ich gedacht jetzt kommt eine Horror Geschichte. War schon teilweise eklig wie zB. als bei Evelyn der weiße Speichel herauskommt oder das mit den Augen. Aber es ist ja keine Horror Geschichte sondern ein Drama. Sehr gut fand ich auch in der Geschichte die Beziehung der beiden Schwestern Holly und Evelyn. Obwohl Evelyn sterben muss unternimmt Holly mit ihr was und hat sie beneidt als sie noch jünger war. Ich fand es gut das Holly es zuerst abgelehnt hat Evelyn zutöten. Das zeigt das sie ihre Schwester liebt und hofft das die Krankheit besiegt werden kann. Aber dann tat sie es doch auf Bitte ihrer Schwester. Ja das ist schon hart aber Evelyn wollte ja nicht, das Holly und ihre Eltern sie dann sehen wenn sie sich komplett verändert. Bevor sie beiden in den tod stürzen redet Holly noch mit Evelyn das hat mir auch gefallen hab jetzt gedacht sie würde Evelyn nun töten aber dann stürzen beide in den Tod. Ein trauriges Ende einer tollen Geschichte. Keine Rechtsschreibfehler und Komma immer dort wo ein Komma auch hingehört.
Chirur falls ich was nicht verstanden habe dann entschuldige ich mich.
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| Blödian Jungspund
Beiträge : 50 Kopfgeld : 1244651 Dabei seit : 03.01.13
| Thema: Re: Das Versprechen im Frühlingstraum So 13 Jan - 19:03 | |    
| Liebe Chirurgin des Todes, diese Kritik mag vielleicht sehr pingelig erscheinen, doch auch der letzte Schliff gehört zum Gesamtpaket. Auch persönliche Wünsche werden hier ihren Weg finden. Diese Kritik kann nur gut sein für dich. Ich schreibe hier entgegen meiner Aussage im Vorstellungsbereich, ich würde mich nicht im FF-Bereich aufhalten (außer beim FFW), na ja, Langeweile kann manchmal ein sehr fundamentales Fundament sein xD
Es fängt schon bei der Überschrift an, die sehr objektiv ist. Genau diese Objektivität stört mich. Einerseits baut es natürlich Spannung auf, immerhin will man wissen, um welche Art von Versprechen es sich handelt. Andererseits könnte man auch Spannung aufbauen, indem man mithilfe eines Adjektivs etwa die Richtung angibt, in die das Versprechen geht. Hier könnte mit einem richtig ausgewähltem Adjektiv eine Antithese aufbauen, also etwas, das im Kontrast zu dem Traum steht und den Leser verwirren. Zum Beispiel "Das traurige Versprechen im Frühlingstraum", das auch schön im Gegensatz zum ersten Teil der Geschichte steht, die sehr munter und friedlich geschrieben ist. - Es würde auch für die oben genannte Verwirrung sorgen. Und ich habe schon über eine Überschrift mehr geschrieben, als es sehr viele User über mehrere Kapitel schreiben.
Stilistisch ist der Text wirklich in Ordnung. Besonders tun die Stilmittel, die in Verbindung mit der Natur stehen, auffallen. Das bietet sich ja geradezu an, immerhin spielt die gesamte Geschichte in einem Wald, also der Natur. Wieder einmal steht die Natur in einem gewissen Kontrast zur Geschichte. Die Natur wird als sehr schön betitelt, die Geschichte jedoch ist sehr traurig. Gefällt mir. Jedoch lässt sich das ganze noch stark ausbauen. Wenn du schon die Natur dermaßen stark einfließen lässt, hättest du noch mehr die Technik und Industrie einspielen lassen können. Anmerken möchte ich, dass ein gewisser Ansatz jedenfalls schon vorhanden war. Zum Beispiel hast du schon zu Anfang die schlechte Luft, die ob der Wirkungen der Industrie entstand, als Grund für den schlimmen Zustand des Mädchen genannt. Auch die Großmutter war total gegen die Technik. Du hättest also die Industrie noch mehr als Böses darstellen und sie der Natur gegenüber stellen können. Na ja, wieder nur ein persönlicher Wunsch. Aber es ist ja nur gut. Wenn du solche Stilistiken verwendest, erkennt der Leser sofort die Mühe und die Tiefe, die in diesem Text steckt.
Rechtschreibfehler habe ich beim Lesen nicht gefunden. Einzig ist mir im zweitem Absatz das "zuhause" aufgefallen. Zwar ist das erlaubt, wenn ich mich nicht irre, aber sowohl Duden als auch andere Verlage empfehlen die Form "zu Hause". Wollte ich nur mal so am Rande sagen. Schön, dass du die Rechtschreibung beachtest.
Leider finden sich paar Kommafehler. Mir als jemand, dem solches sofort ins Auge springt, stößt das bitter auf ^^ Bitte mehr darauf achten. Kommata sind sehr wichtig ^^
Zur Geschichte an sich lässt sich nicht viel sagen, bin da eh nicht so der Experte. Ist sehr traurig, aber manchmal auch sehr unübersichtlich. Ich war an manchen Stellen der Geschichte verwirrt. Kann auch nur mir so vorkommen. Zwei Sachen haben mich aber schon gestört: Die schnelle Scheidung zwischen Vater und Mutter kam mir sehr zweifelhaft vor, auch der Grund. Nur weil einmal die Tochter die Oma schlägt, trennt der Vater sich? Es kann zwar sein, dass er schon vorher große Probleme mit der Situation war und deswegen schon längst am Überlegen war, aber ein Schlag kommt mir doch übertrieben vor. Vielleicht empfinde nur ich das so ^^ Auch sehr komisch fand ich, dass Mutter und Oma die Kinder verlassen haben, obwohl doch der baldige Tod im Kommen war. Man lässt doch nicht zwei kleine Kinder, davon eines todkrank, in einem Wald allein. Oder bin ich nur eine sehr sensible Person? Dass die Geschichte traurig ist, habe ich erwähnt. Schön gelingt dir auch die langsame Steigerung dieser Traurigkeit. Der Beginn der Krankheit, Verschlimmerung der Krankheit, Scheidung der Eltern, das Versprechen, Mord und Selbstmord. Heftig.
Insgesamt eine gute Geschichte, Du solltest dir im Klaren sein, dass ich das Wettbewerb gewonnen hätte, wenn ich auch teilgenommen hätte ;D
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| Schnellantwort auf: Das Versprechen im Frühlingstraum | |
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