Kapitel 1 - Die Illusion einer Idylle
Der Mann kniete am Flussufer und wusch sich Gesicht, Hände und Arme. Die Wegelagerer beobachteten ihn, hinter dichter Flora verborgen. Die Bäume warfen fleckige Schatten auf das langsam strömende Wasser, das Ufer und den Mann, welcher noch immer nicht wusste, dass er nicht allein war. Das harmonische Plätschern übertönte seine vorsichtigen Schritte. Seine Anhänger lauerten bereits an sorgsam ausgewählten Plätzen flussabwärts und am anderen Ufer für den Fall, dass er fliehen würde. Welch törichtes Gesindel traute sich abseits der Hauptwege? Hier, auf dem offenen Land, zwischen den großen Städten, ihren hohen Mauern und Garnisonen gehörte das Leben denjenigen, die bereit waren ein Risiko auf sich zu nehmen. Gewiss war jener Narr nicht alleine. Sie hatten zwei Pferde, angebunden an eine alte Eiche, eine halbe Meile von hier erspäht.
Der Mann näherte sich gebückt dem ahnungslosen Reisenden, der seinen Kopf zur Hälfte ins Wasser getaucht hatte. Ein kurzes Blitzen im Wasser war für gewöhnlich die einzige Reaktion, ehe er zu schreien versuchen würde. In dem Moment, in dem ihm klar wird, dass er nicht alleine war.Plötzlich stand der Mann auf und wirbelte herum.
Der Wegelagerer trat ihm mit voller Wucht in den Magen, um ihm den Atem zu rauben, ehe er um Hilfe rufen kommte.
"Bevor du jetzt irgendetwas sagst, werde ich dir erklären, was das beste für dich ist.Die Auswahl ist jedoch beschränkt. "
Während er dies sagte, rückten seine Gefährten vorsichtig näher heran. Wenn man ein verwundetes Tier in die Ecke drängte, würde es angreifen. "Und was sagst du nun Bursche? "
Der Wegelagerer beobachtete aufmerksam die starren Gesichtszüge des Mannes. Dieser sah ihn hasserfüllt, nach Luft japsend an.""Habe ich den eine Wahl?" Der Mann fuhr mit zitternden Fingern durch sein fettiges, schulterlanges Haar, fand und bedeckte eine große kahle Stelle.Plötzlich drang ein Schrei aus seiner Kehle - ein Hilfeschrei, der die Stille selbst zu zerreißen schien, Vögel aufflattern ließ und einige der Gefährten sichtlich erschrak. Es war ein Name. Einen Namen schrie er. Der Wegelagerer hatte gewusst, dass er nicht alleine war. Die Gefährten rückten dichter heran, kesselten den Mann ein, drehten ihm dabei jedoch den Rücken zu. Ehe sie sich in Stellung gebracht hatten, polterten die schweren Schritte eines Mannes herbei. Der Wegelagerer nickte seinen Männern zu, die daraufhin die Schwerter und Äxte zogen. Er selbst zog einen dünnen Degen und blieb reglos wie eine Statue stehen, bis schließlich ein besorgtes Gesicht hinter den Bäumen zum Vorschein kam.
Die Person hatte einen Köcher umgelegt und bediente mit diesem seinen Bogen, welchen er augenblicklich auf den Anführer richtete. Ein Jäger vielleicht? Sicherlich kein Krieger, dennoch musste man davon ausgehen, dass dieser im Umgang damit geschult war. Er hoffte, dass er ihn nicht würde töten müssen. Als der Mann nahe genug herangekommen war, zog der Wegelagerer ein Messer und drückte es sanft an den Hals seines Gefangenen. "Ich bitte dich! Lass ihn in Ruhe, er tat dir doch nichts!" Spöttelnd erwiderte der Wegelagerer: "Und das weisst du ganz sicher?" Schließlich wollte er sich ein kleines Amüsement nicht nehmen lassen, wenn er denn schon so weit geritten war. "Möchtest du deine Waffe nicht senken? Wir wollen doch nicht, dass jemand zu Schaden kommt, oder? Sag, wie heißt du?"Der Mann spuckte verächtlich in das Laub: " Ian Delahunt aus dem Hause Delahunt. Sohn von Richard, dem Fürsten von Heifors Kam."
Mit jedem Wort nahm das Selbstvertrauen in seiner Stimme an Stärke und Anmut.Der Wegelagerer schaute plötzlich ernster drein:"Was sucht ein Aristokrat aus einem solch alten und ehrwürdigen Haus hier in oben in Hunters Bay? Und dann auch noch in Begleitung dieses Mannes!" Der Wegelagerer legte seine Handfläche auf den Schädel des Gefangenen und schüttelte diesen. Ian hatte noch immer seinen Bogen gespannt und auf den Wegelagerer gerichtet: "Wer seid ihr, der ihr meint, mir hier aufzulauern?"
Der Wegelagerer blickte gelassen die Pfeilspitze Ians an und antwortete ruhig: "Wir sind die Falkenbande, ein Söldnetrupp aus Khelormarsch im Süden. Ich bin Keylor, der Anführer. Dieser Mann wird gesucht und im Namen von Lord Behelor von Grauwinterruhr, Herrscher über die Askargebirge und Vetter des Königs, suchten wir ihn seit nun schon zwei Monaten. Hör mir zu. Um solch einen Einsatz sollte ein Mann deiner Abstammung nicht spielen. Sei vernünftig und lass uns ziehen." Die Stimme des Anführers klang ein wenig gedämpft, dennoch rührte sich sein Messerarm nicht vom Hals des Gefangenen fort. Ein Anflug von Kummer huschte uber Ians Gesicht. Dies bemerkte Keylor sofort und ergänzte: "Komm Junge, noch ist es nichg zu spät. Lass uns ziehen. Wenn ich dich nun töte, bleibt dir die Chance auf Rache auf Ewig verwehrt." Ian schaute den Gefangenen niedergeschlagen an. Was nützte es ihm, wenn er nun sinnlos sein Leben geben würde? Die Söldner waren deutlich in der Überzahl und die Chance auf einen Sieg war so hoch wie der Alkoholkonsum eines Mönches. Benommen willigte er nickend ein und sackte auf die Knie.
"Braver Bursche. Sieh es mal so: Eine andere Söldnereinheit hätte dich vermutlich gefangen genommen und würden bis zur Lösegeldübergabe deinen Arsch ihren Trieben oblegen haben."
Die Söldner lachten laut und hämisch auf. Tiefes Gelächter, welches sich auf Dauer wie das Grunzen unterernährter Schweine anhörte. Keylor schlenderte, seine Schulter tätschelnd an ihm vorbei und bestieg seinen Rappen. Die übrigen Söldner fesselten den Gefangenen und führten ihn zu ihren Pferden. Ein letztes Mal warf Ian seinem Freund einen verzweifelten Blick zu, ehe dieser an ihm vorbei geführt wurde. Er blieb wie verwurzelt an jener Stelle stehen und drehte sich nicht um. Das laute Wiehern der Pferde vernahm er nur verschwommen und alsbald gar nicht mehr. Eine Staubwolke fegte ihm nach dem Ausritt der Pferde entgegen. Doch auch diese schien er nicht wahrzunehmen.Verloren flüsterte er auf den wolkenlosen Himmel empor starrend: "Rhaegar ist unschuldig."