Hisoka OPM-Urgestein
Beiträge : 2349 Kopfgeld : 2292076 Dabei seit : 13.07.11 Ort : Knoten des Wahnsinns
| Thema: Totgeschwiegen (Drama, One-Shot) So 18 Mai - 15:33 | |    
| Hier mal wieder ein neuer One-Shot aus meiner "Feder", diesmal über jemanden der sich von seiner Familie entfremdet hat...schauts euch einfach mal an bzw. lest. Ein oder zwei Kommis wären natürlich auch nett. - Spoiler:
Ich war 22 Jahre alt, als ich nach 3 Jahren Abstinenz wieder in meine alte Heimatstadt zurückkehrte, nach Köln. Drei Jahre, in denen die eigenwillige Szene in Hamburg mich verändert hatte. Ich war lauter, zwanghaft gut gelaunt und achtete sehr auf mein Äußeres. Nicht dass ich in den Jahren, in denen ich zur Schule gegangen war, das Haus auch nur einmal ohne Gel in den Haaren verlassen hätte, doch das war eine Selbstverständlichkeit gewesen, ein kleines Nebenbei. Nun verging nicht selten eine Stunde, bis ich mich selbst aus dem Exil im Bad entließ. Abgesehen davon, war ich mir aber bemerkenswert treu geblieben, so fand ich. Noch immer hatte ich die Angewohnheit, Cola mit Grapefruit Saft zu mixen, konnte stundenlang in ausschweifenden philosophischen Theorien versinken und selbst die langweiligsten Sachverhalte so erläutern, dass ein jeder den Eindruck gewann, ich würde gerade einen exzellenten Witz erzählen. Aber nicht falsch verstehen. Sie nahmen das, was ich sagte, nicht wie einen Witz auf. Nur verhielt ich mich so, als würde es mich gleich vor Lachen zerreißen. Ganz egal ob ich davon erzählte, wie meine beste Freundin sich im Suff einem Penner an den Hals geworfen hatte, oder mir die Unverständlichkeit chinesischer Bauanleitungen auf dem Herzen lag. Als ich, meinen beigen Second-Hand Koffer hinter mir herziehend, den Kölner Hauptbahnhof verließ und sogleich der Kölner Dom über mir empor ragte, fühlte ich mich sofort wieder wie der 19-jährige Scheiß-auf-Köln Teenager, der diese Stadt vor 3 Jahren verlassen hatte. Während ich in Richtung Stadtbahn lief, überlegte ich, ob ich meinen möglicherweise unbefristeten Besuch vorher hätte ankündigen sollen. Es war November, mein Vater also sicherlich auf Geschäftsreise, meine Mutter würde mich daher empfangen. Und meine Mutter war...schwierig. Na gut, ich will hier jetzt keine seitenlangen tragisch-komische Anekdoten zu ihrem Amüsement auflisten, liebe Leser, sondern präsentiere ihnen stattdessen einfach die Kurzform. Meine Mutter war eine hysterische, peinlich auf Ordnung bedachte, kontrollversessene Hypochonderin der schlimmsten Sorte. Klar, sie hatte auch ihre guten Seiten. Mir fallen nur gerade keine ein. Warum also, fragen sie sich sicher, kehrte ich überhaupt nach Hause zurück? Ich hatte Hamburg satt. Viel zu feucht, schräge Vögel (zu denen ich allerdings gut gepasst hatte) und letztlich nur das Ergebnis einer meiner längeren Trotzphasen. Nun war ich bereit, es hier noch einmal zu versuchen Selbstverständlich hatte ich nicht vor, über einen längeren Zeitraum bei meiner Mutter zu wohnen. Meine Nebenbeschäftigung als Grafik Designer hatte mir gutes Geld eingebracht und so war dieser Besuch nur eine Notlösung. Zudem nicht um meine Mutter wiederzusehen, sondern jemanden, der mir weitaus mehr am Herzen lag. Endlich. Nach 30 Minuten Fahrt stieg ich aus der Straßenbahn aus und betrat eine Straße, in der sich Mietshaus an Mietshaus reihte. Graue Straßen, graue Häuser, grauer Himmel. Mir fiel sofort wieder ein, warum ich es hier nicht mehr ausgehalten hatte. Gerade wollte ich nach rechts laufen, als mich ein nervtötend aufgedrehtes Stimmchen eben daran hinderte. Wenig gespannt drehte ich mich um und sofort kramte ich das „nervtötend“ wieder aus meiner Gedankenschublade hervor, malte es rot an und stellte es wie ein Warnschild auf meinen imaginären Gedankenschrank. Wie glatt gebügelt wirkendes blondes Haar, aufdringlich bunte Ohrringe, ekelhaft rot geschminkte Lippen und Klamotten, direkt aus Omas Mottenkiste. Es konnte sich nur um eine Freundin meiner Mutter handeln. „Du bist doch der Noah richtig?“ Ach ja, sorry. Mein Name ist Noah. „Wenn mich niemand umbenannt hat schon. Und sie sind...?“ Sie lachte. Oh mein Gott, sie LACHTE. Und wenn ich lachen sage, meine ich ein Rumpeln und Krächzen, als würde eine Ratte Rauch einatmen und dann elendig....nein das führt zu weit. „Ich kenne deine Mutter seit einem Jahr weißt du, von der Parfümerie und...“ Ich vergaß eine weitere meiner Eigenarten. Die bemerkenswerte Schmerzgrenze gegenüber uninteressantem Gerede. „Sie hört ja gar nicht auf von ihrem Noah zu reden! Du bist ja ihr ganzer Stolz, die ganze Hoffnung der Familie ruht auf dir und aus dir wird sicher noch etwas großes, jedenfalls sagt sie das die ganze Zeit und..“ „Ich habe in den drei Jahren in Hamburg eigentlich nicht all zu viel für meinen Lebenslauf getan, wenn ich ehrlich bin. Ich wollte einfach nur mal Abstand und...“ „Aber ja, aber ja. Hamburg? Du meinst wohl Berlin? Na egal, jedenfalls sagte deine Mutter...“ Ich scharrte mit den Füßen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Übertreiben sie nicht etwas? Sie wird doch wohl auch etwas von Davynn erzählt haben, oder nicht?“ Widerwillig unterbrach sie ihren Redefluss, das durch natürliche Chirurgie fast faltenfreie Gesicht verzog sich ein wenig, sie hob eine Augenbraue. „Davynn? Ich weiß nicht wovon du redest Noah.“ Ohne darüber nachzudenken, beschloss ich, diese Frau so zu behandeln wie sie es verdient hatte. „Pardon, ich würde ein „Sie“ statt einem „Du“ bevorzugen. Und was soll das ? Warum tun sie so, als würden sie meinen Bruder nicht kennen?“ Ein gewisser Glanz trat in ihre Pupillen, die Augen weiteten sich. Sie war tatsächlich überrascht. „Ihrem....Bruder?“ „Ja, mein Bruder Davynn, 16 Jahre alt, 1,72 Meter groß, dunkelbraune Haare.“ Sichtlich unangenehm berührt mied sie meinen Blick nun. „Nun, deine Mutter hat nie...“ Ich winkte ab, zwang mir ein falsches Lächeln auf und bog endlich in meine Straße ein, wo ich nur wenige Minuten später vor der nur allzu vertrauten Tür stand. Es war eines der wenigen Reihenhäuser in dieser Gegend, aber genauso schmucklos wie die Miethausblöcke daneben. Grau und eingefallen. Links neben der Tür, ein kleiner blauer Knopf, die Klingel. Sie kam mir für einige Sekunden vor wie des Satans Ausgeburt. Schwachsinn. In dem Moment in dem mein Finger die Klingel berührt hatte, wünschte ich mir Satan höchstpersönlich herbei. Nach exakt zehn Sekunden wurde die Tür geöffnet und meine über alles geliebte Mutter trat in mein Blickfeld. Langes blondes Haar, eine Möchtegern-Intellektuellen Brille, von langen Jahren des Misstrauens gealtertes Gesicht, scheußlich beiges Shirt und einen ebenso farblosen langen Rock. Wie im Zeitraffer hob sich ihre linke Augenbraue, spitzte sie die Lippen. „Du bist es ja Noah. Du hättest anrufen können, dann wäre jetzt schon das Essen gerichtet und wir müssten nicht erst ein Zimmer für dich vorbereiten. Und wie du aussiehst, dieses scheußliche Shirt, wer soll denn dieser Ian Curtis sein? Aber ist ja auch egal, was werden die Nachbarn denken...mach doch erst einmal die Tür zu.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ mein Blickfeld wieder, indem sie nach links, in das Wohnzimmer ging. Einige Minuten nachdem sie dort verschwunden war, stand ich immer noch auf der Türschwelle und murmelte: „Hey, Mom.“
Immer wieder hatten mir diverse Mitt-Dreißiger erzählt, das Erstaunliche am Leben sei, wie schnell sich alles verändere, besonders die Menschen. Schwachsinn. Schon 10 Minuten nach meiner Ankunft wurde mir klar, das der Moment in dem ich vor 3 Jahren die Haustür hinter mir zugeworfen hatte, seitdem die einzige Abweichung vom Tagesablauf gewesen war. Püntklich um 18 Uhr stand der Wäschekorb im Gang, exakt um 18.15 Uhr würde sie die Waschmaschine anwerfen. Desinteressiert starrte ich auf das kleine graue Plastikding, überfüllt mit Schmutzwäsche, ich hörte wie meine Mutter hektisch versuchte, ein Essen herzurichten, dass sie mir vorsetzen konnte. Entsetzlich. Die Zeit schien hier stehengeblieben zu sein, beiläufig wischte ich imaginären Staub von meinem Kopf. Allmählich war ich ein wenig verwundert. Keine Begrüßung? Wo blieb der Grund für mein Kommen? Die aufgedrehte Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Gedanken. „Du stehst ja immer noch mitten im Flur Noah, nun geh schon nach oben, du kannst dein altes Zimmer nehmen.“ Mit diesen liebevollen Worten entschwand die Herrin über diese geistige Einöde wieder in ihrem Reich und ich schleppte mühsam meinen Koffer die Treppe herauf. Sofort wanderte mein Blick zu der ersten Zimmertür in der Nähe der Treppe, sie stand einen Spalt weit offen, Rockmusik ertönte. Ich lächelte, ließ meinen Koffer dort wo er war und öffnete gespannt die Tür. „Hey, kleiner Bruder!“ Oh verdammt. Ich fürchte, ich muss alles zurücknehmen. Die Zeit verändert alles und ganz besonders Menschen. Mein Bruder Davynn, der auf einem Drehstuhl vor seinem PC saß drehte sich zu mir um, das alte Ding quietschte dabei. Statt des lässigen Kurzhaarschnitts gingen ihm die Haare nun fast bis an das Ende seines Halses, dicke Strähnen SCHWARZER Haare fielen ihm ins Gesicht. Kontaktlinsen, die seine Augen blau erscheinen ließen und Smoky Eyes. „Hey, Noah.“ Welcher verdammt falsche Film lief hier? Kein „Heeeyy Noah!“? Kein freudiges auf mich zurennen, wie jedesmal wenn ich auch nur einige Stunden weg gewesen war? Seine Augen schienen müde und lustlos, seine Lippen bewegten sich nicht. Ich kam langsam näher, als könnte das meinen ersten Eindruck als bösen Traum entlarven. „Was ist denn? Wieso schaust du mich so an?“ Er hob eine Augenbraue (ganz die Mama) und sah mich fragend an. Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf, versuchte ein Grinsen zustande zu bringen, das aber reichlich gequält wirkte. „Hm....ziemlich...verwegener Look oder?“ Er zuckte mit den Achseln und drehte sich wieder um. „Davynn, was ist los? Ich hätte eigentlich schon eine andere Reaktion erwartet.“ Einen Moment lang schien er zu überlegen, dann winkte er ab. Die Zimmertür wurde ruckartig geöffnet, mit genervtem Gesichtsausdruck winkte mich meine Mutter zu sich. „Nun komm schon Noah, wie oft muss ich denn noch rufen? Deinen Koffer habe ich für dich ins Zimmer gebracht, du hast ihn ja einfach auf dem Gang stehen lassen. Was willst du denn hier? Komm lieber runter, das Essen ist fertig.“ „Ich komme gleich mit Davynn runter.“ Sie drehte sich um und ging in Richtung Treppe. „Er hat keinen Hunger.“ Ich fühlte mich immer schlechter und schlechter. Was für eine Horrorshow wurde hier gespielt? Ich sah zu meinem Bruder, der mit missmutigem Gesicht auf den Bildschirm seines Computers starrte. Verständnislos schüttelte ich den Kopf, verließ Davynns Zimmer und stapfte nach unten in die Küche, wo meine Mutter bereits meinen Teller mit Spagetti belud. Wortlos stellte sie ihn mir vor die Nase, dann verließ sie das Zimmer um pünktlich die Wäsche zu machen. Ich starrte auf den Teller mit Nudeln und verspürte nicht den geringsten Hunger. Ich verstand einfach die Welt nicht mehr. Was war mit meinem Bruder los? Warum schien meine Mutter ihn zu ignorieren? Was war in den drei Jahren nur passiert? Ich ging zum Kühlschrank , mixte mir meine obskure Grapefruit-Cola Mischung und trank daraus. Das sauer-süße Gebräu rann meine Kehle herab und verdrängte für einen Moment meine von Sorge und Unverständnis geprägten Gedanken. Ein beiläufiger Blick zur Tür und ich sah Davynn, der mich ansah, die Arme vor der Brust verschränkt. Schwarzes Shirt, graue Hose. „Warum bist du wieder da?“ Oh nein. Ein ernstes Gespräch. Ich war nicht der richtige für ernste Gespräche, die ruinierten mir auf Dauer meine Frohnatur. Schnell jetzt, ein passender Gesichtsausdruck und äh..ach verdammt mir fällt nichts ein. Denkt euch selber aus wie ich damals geguckt habe. „Na ja...vor allem um dich zu besuchen.“ Mit unveränderter Miene sagte er leise: „Lüg doch nicht.“ „Ich lüge nicht, ich wollte dich am meisten wiedersehen. Sonst wäre ich gleich in ein Hotel.“ „Warum solltest du mich sehen wollen? An mir ist nichts besonderes.“ In meinem Gehirn griff sich ein Affe eine gläserne Skulptur mit der Aufschrift heile Welt und warf sie auf den Boden. Sie zersprang in tausende kleine Teilchen. Meine inneren Dämonen bezwingend lächelte ich und ging auf meinen Bruder zu. „Hey, was soll denn das Depri Geschwätz, so bist du doch sonst nicht.“ „Du meinst so war ich vor drei Jahren nicht. Das könnte allerdings stimmen. Oder vor einem Jahr, als du das letzte Mal angerufen hast...ich glaube der Apparat hat mir fünf Minuten Gesprächsdauer angezeigt.“ Autsch. Das saß. Und traf leider mitten ins Schwarze. „Ich weiß ich hätte mich öfter melden sollen...aber es war verdammt stressig in Hamburg, so ganz ohne Mama die mir hinterherräumt, weißt du?“ Als hätte ich ihn mit Giftpfeilen beschossen, zuckte er zusammen, als ich sie erwähnte. Er winkte wieder einmal ab und drehte sich um. „Vergiss es einfach okay? Ich versteh dich ja, keiner muss sich um einen wie mich kümmern.“ Tja Leute, ein echter Held wäre ihm hinterhergegangen, hätte ihn in die Arme genommen und ihm alles ausgeredet. Aber ich war zu so etwas nicht fähig, Streit ging ich aus dem Weg und solchen Momenten sowieso. Ich war die Angela Merkel unter den Brüdern. Gott, streicht das. Bitte.
Ich lag ahnungslos in meinem alten Bett, als er um zwei Uhr Nachts mein Zimmer betrat. Mein Bruder schloss die Tür hinter sich und sah mich wohl an. Verwirrt und auch ein wenig hilflos setzte ich mich auf , tastete ein wenig in die Dunkelheit und schaffte es schließlich, das Licht anzumachen. Ich erstarrte. Seine Augen vollkommen verheult, er schniefte, wischte sich mit dem Ärmel seines Shirts Tränen aus dem Auge. Sie kennen doch sicher solche Situationen, in denen sie nicht wissen was als nächstes kommt oder was überhaupt gerade passiert. Das sind diese Momente, in denen man davonrennen will, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Was mir in diesem Moment passierte, war zehnmal schlimmer. „Was...was ist denn los?“ „Ich bin tot....verstehst du? Tot.“ Ich blinzelte. Wann hörte dieser verdammt schlechte Traum denn endlich auf? „Tot also...ich verstehe kein Wort.“ Mit glanzlosen Augen und einem von Resignation kreierten Gesichtsausdruck sah er mich an. Ich wand mich ein wenig in meinem Bett, fühlte mich, als würde er mich mit Speeren an die Wand nageln. „Totgeschwiegen. Es gibt mich nicht mehr. Nicht für Mama, nicht für dich.“ Viel hätte nicht mehr gefehlt und ich hätte erwartet, er würde sich in ein Monster verwandeln, mich unter mein Bett ziehen und töten. Sorry, aber in solchen Situationen kann ich noch weniger ernst bleiben als sonst. Nennen wir es Selbstschutz. Und ganz ehrlich, ich habe nicht wirklich Lust das jetzt noch weiter wiederzugeben. Wenn ich ihnen so die Atmosphäre zerstöre, tut's mir leid, aber das möchte ich jetzt einfach nicht mehr. Sagen wir einfach, mein Bruder enttäuschte nach meinem Weggang die viel zu hohen Erwartungen meiner Mutter. Sagen wir auch, er begann daraufhin sich optisch wie charakterlich, größtenteils aus Trotz, zu verändern. Was dazu führte, dass meine Mutter ihn fortan wie Luft behandelte. Der Rest der Nacht verlief so, dass ich einige Stunden neben meinem Bruder auf der Bettkante saß und ihn ganz altmodisch an mich drückte, während er die Tränen von Jahren loswurde. Am nächsten Morgen beschloss ich, den Ereignissen einen Arschtritt zu geben. Mit ausdruckslosem Gesicht packte ich meine Sachen, die meine Mutter akkurat im Schrank eingeordnet hatte, wieder in den Koffer. Ich fühlte gar nichts. Mit diesem Ort verband mich nichts mehr. Als der Koffer fix und fertig gepackt in der Mitte meines Zimmers stand, ging ich in das Zimmer meines Bruders. Er saß auf seinem Bett, den Kopf mit den Handflächen gestützt. Er sah auf, als ich eintrat und lächelte schwach.Dieses Lächeln...es griff sich mein Herz, riss es aus meiner Brust, zertrampelte es und warf das ökologisch recycelte Endprodukt auf den Schrottplatz. Sie fragen sich sicher, warum ich meinen Bruder offenkundig so vernachlässigt hatte, wenn er mir doch so viel bedeutete. Ich wünschte ich könnte es ihnen sagen. Vielleicht wollte ich unbewusst so wenig mit meinem „alten Leben“ zu tun haben wie möglich, oder ich hatte Angst, dass mich alleine ein Gespräch mit ihm dazu bringen würde, wieder nach Köln zu gehen. Mein Bruder griff seinen Koffer, derselbe den er schon bei unserem letzten gemeinsamen Urlaub nach Spanien, vor 4 Jahren, gehabt hatte. Ein mausgraues kleines Ding, in das höchstens das allernötigste reinpasste. Mehr brauchten wir auch nicht. Schritte, meine Mutter betrat den Raum. „Du gehst?“ Wortlos sah Davynn mich an, doch ich verstand auch so. „Ja Mutter, ich gehe. Ich denke nicht, dass ich nochmal wiederkomme.“ Ich sah diese Frau an. Ihre Augen matt , vollkommen glanzlos, ihre Kleidung identisch mit der des Vortages. „Du bist alt genug um eigene Entscheidungen zu treffen, nicht wahr?“ „Ja. Ja das sind wir.“ Einen Moment lang sah ich ein Zucken, ein kleines schwaches Aufblitzen. Ohne es zu wollen, kicherte ich. „Na ja sieh es mal so Mutter....damit fällt viel Hausarbeit für dich weg.“ Das Grinsen meines Bruders machte mir die Sache noch ein wenig leichter. Ich ahnte, wie schwer es ihm in diesem Haus fallen musste. „Wir gehen dann mal.“ Davynn packte seinen Koffer und zog ihn aus dem Zimmer heraus, ging schweigsam, ohne einen Blick zurück, die Treppe herab. Ich sah meine Mutter lächelnd an, während ich ebenfalls die ersten Stufen betrat. „Grüß doch bitte diese Freundin die Davynn nicht kennt von mir.“ „Das sind die meisten meiner neuen Freundinnen.“ „Das dachte ich mir. Gleich und gleich gesellt sich gern, Mutter.“ Sie sagte nichts, starrte mich nur an, als sei ich ein Fremdkörper, ein Schmutzpartikel. Sind sie jetzt verblüfft? Ging es ihnen zu schnell? Lassen sie mich raten: Sie würden es vorziehen, noch 30 bis 50 weitere Seiten Familienzwist zu lesen, mit zahllosen kleinen Anekdoten aus meiner Kindheit und bitteren Streitereien mit meiner Mutter. Dafür bin ich der falsche, tut mir leid. Wie sie sicher schon gemerkt haben: Ich hasse Konflikte, ich kann mit ihnen nicht umgehen. Deshalb gehe ich ihnen aus dem Weg – mit allen Mitteln. Ach ja richtig, sicher fragen sie sich: Der Vater wird das niemals zulassen. Nun, mein Vater ist sicher kein schlechter Mensch, allerdings bedeutet das normale Leben für ihn, auf Reisen zu sein. Wenn sich zuhause etwas verändert, bemerkt er das nicht unbedingt. Und meine Mutter ist sicherlich die Letzte, die ihn darauf hinweisen würde. Als ich wieder, wie 24 Stunden zuvor, auf der Türschwelle stand, drehte ich mich noch einmal um und sah meine Mutter an, die immer noch am oberen Ende der Treppe stand und mich wortlos ansah, mit verkniffenem Gesicht und einem toten Blick. Ich winkte ihr zu. „Hab dich lieb, Mama.“ Dann zog ich die Tür hinter mir zu, diesmal ohne jede Reue.
|
|